Sonntag, 22. Dezember 2019

Wie ein Ren(n)tier


Zwischen Tannenbäumen mit dicken bunten Kugeln und Päckchen mit roten Schleifen hangele ich mich von Schaufenster zu Schaufenster, von Laden zu Laden, auf der Suche nach dem perfekten Geschenk. Ja, kaufen soll ich. Perfekt kaufen. Doch was soll ich kaufen? Diejenigen, die ich beschenken will, haben alles, was sie brauchen. Und was sie nicht haben, wird ihnen nicht fehlen, weder ultimative Pullis, Hosen, Hemden, Uhren, Schmuck, Schlafanzüge noch Tassen, Teller und Schüsselchen. Bücher und CDs gehen eigentlich immer. Metallica, Leonard Cohen und Westernhagen in den Top Ten. Doch kann ich damit Freude schenken? Ich freue mich gerade über das Ren(n)tier, das durchs Center rennt und warte auf den Tag, wenn Ruhe ist im Land.

Samstag, 14. Dezember 2019

Gibt's überhaupt den Weihnachtsmann?




Gibt’s überhaupt den Weihnachtsmann?

Oma, der Liam sagt, den Weihnachtsmann gibt es gar nicht.
Ach Jan, der will dich nur ärgern.
Weiß ich doch. Aber wie sieht er denn aus?
Gute Frage, so richtig hat ihn ja noch keiner gesehen.
Stimmt, er ist immer schon weg, wenn er die Geschenke gebracht hat. Kommt er eigentlich mit dem Schlitten vom Himmel?
Manche glauben das, ich hab eine andere Idee.
Nicht mit dem Schlitten?
Durch die Wolken schon, aber anders. 
Jedenfalls kommt er vom Himmel, aber wie? 
Als Spaceman im Raumanzug. Ich hab mal ein Lied gehört, da kommt er am Weihnachtstag aus dem Weltall und landet direkt im Stall von Betlehem. Eine ganze Schar Engel begleitet ihn und als sie das Kind in der Krippe erblicken, singen sie ein wunderbares Lied. Alle hören zu und freuen sich, Maria und Josef, die Hirten und die Tiere. 
Und was ist mit den Geschenken, Oma?
Der Spaceman Weihnachtsmann bringt das größte Geschenk, das jemand machen kann, für alle Menschen auf der ganzen Welt.
Ach Oma, jetzt machst du mich aber neugierig. Was ist es denn?
Liebe und Frieden, Jan, für alle Menschen, auf der ganzen Welt.

Mittwoch, 9. Oktober 2019

Limburg-Süd


In diesem Jahr hatte ich schon einige Male die Gelegenheit, eine Zeit am Bahnhof Limburg-Süd zu verweilen, heute mal wieder, auf den ICE nach Köln warten. Mit Hilfe einer besonders großen und groß beschrifteten Taste an einer Säule öffne ich die schwere Tür zum Bahnhofsgebäude. In diesem Moment wird mir klar: das gute Stündchen wird verdammt lang werden. Hier gibt’s zwar einen Backshop mit ein paar Tischchen, doch der hat nur bis Mittag geöffnet. Neuerdings ist sogar der Durchgang mit einem Gitter abgesperrt. Naja. Hoffentlich hat der 15:49er nicht auch noch Verspätung wie vor einer Woche. Ich gehe auf die andere Seite des Innenraums und setze mich auf eine Bank. Hier hab ich schon mal einen Blick über Gleis 1 und vier Schienenstränge hinweg zu Gleis 4, auf dem mein ICE später dann ein- und abfährt. Kein Mensch weit und breit.
Ich hab Kaffee und Brötchen im Rucksack und WLAN. Das hilft ein paar Minuten, bis vom graufleckigen Boden Kühle an mir hochkriecht. Immerhin bin ich hier ja geschützt gegen den oktobrigen Herbstregen. Doch ich muss mich bewegen und drücke die Taste für die schwere Tür zum Gleisbereich. Da lande ich auf Gleis 1 direkt neben der Treppe, die etliche Stufen hoch zum Übergang führt. Pfützen auf dem Plateau, das Dach ist also an einigen Stellen undicht. Egal, von hier hab ich einen Blick auf die Gleise, auf der einen Seite Richtung Frankfurt, links Felder nach Lindenholzhausen, rechts ein großes Parkhaus, auf der anderen Richtung Köln, links Bürogebäude und Parkplatz, rechts Büsche und Felder. Wie aus dem Nichts rauscht ein ICE von Köln heran, rast auf einem der mittleren Gleise und ist auch schon wieder weg nach Frankfurt. Im Gegensatz zum rasenden ICE kriecht die Zeit. Ach ja, Bewegung.
Ich gehe die Treppe hinunter auf Gleis 4, wo ich in einer knappen Stunde befreit werde. Blaues Display noch ohne Information. Dafür eine Durchsage, man soll auf sein Gepäck achten. Ach ja! Ich bin immer noch der einzige Mensch weit und breit. Auf dem Bahnsteig gehe ich in Frankfurter Richtung bis zum Ende, Treppe hoch zu den Feldern, oben ein Fahrrad am Geländer angekettet. Beim Zurückgehen sehe ich, wie oben der Minutenzeiger weiterspringt. Schön! Ein paar Mal mache ich diese Strecke, dann das Gleiche in Kölner Richtung bis zum Ende und Treppe auch hier. Kein Fahrrad. Ein paar weitere ICEs sind inzwischen durchgezischt.
Und plötzlich weiße Schrift auf blauem Display. 15:49, Köln Hbf. Jawoll. Und da sitzt auch schon eine Frau mit Smartphone auf der Bank und gegenüber auf Gleis 1 stehen inzwischen ein paar Reisewillige in Richtung Frankfurt. Ansage für Gleis 1: Der ICE um 15:57 fällt aus, wegen technischer Störung am Zug. Sie bleiben trotzdem stehen, warten wohl auf den nächsten oder Ersatz. Keine Ansage für Gleis 4, das verspricht Erlösung. Die kommt tatsächlich pünktlich. Der ICE bringt mich in 40 Minuten über die Hohenzollernbrücke in den Kölner Hauptbahnhof, wo auf Gleis 2 der 16:44er ICE über Wuppertal Richtung Berlin bereit steht. Durch das Gewusel auf Gleis 4, die Treppe hinunter und hoch auf Gleis 2 hasten und reinspringen. Geschafft. 17:55 bin ich in Hamm.

Mehr Kurzgeschichten von Renate:

Mittwoch, 31. Juli 2019

warum verhaften sie mich?

sie haben kein recht
mich zu verhaften
sagst du

doch 
sagen sie

und warum?
fragst du

weil du ein arschloch bist
sagen sie

Kafka in Berlin

Dienstag, 21. Mai 2019

Alan am Strand

rotes t-shirt
blaue kurze hose
dunkle Schuhe
mit klettverschluss
helle sohlen

neben dem kleinen körper
die kleinen arme
hände zum himmel
schwarze haare
durchnässt
zwischen der gischt
in der brandung
alans gesicht
im nassen sand

alan
nur drei Jahre
durfte er leben
bevor er
aus dem überfüllten boot
hinausgeschleudert wurde
in die hohen wellen
seinem vater
aus den händen entglitt
an den strand gespült wurde
dort liegen bleibt
mit dem gesicht
im nassen sand
für immer

r.i.p. alan kurdi
aus kobane
drei jahre alt
auf der flucht

ertrunken im mittelmeer

am 2. september 2015

Montag, 20. Mai 2019

arguineguin

es passierte 
vor der küste
von arguineguin
im süden von gran canaria
westlich von maspalomas
und playa del ingles
von marokko kam das boot
mit wenigen menschen
drei waren eine kleine familie
mutter, vater, 1-jähriges kind
vor der küste von arguineguin
sollten sie das boot verlassen
sagte der kapitän
schwimmend den strand erreichen
auch
mutter, vater, 1-jähriges kind
mutter nahm das kind
in ein tuch auf den rücken
würde das gut gehen?
das kind rutschte aus dem tuch
in den atlantik
mutter wollte es retten
vater wollte mutter und kind retten
mutters leiche wurde an den strand gespült
die leiche des 1-jährigen jungen zwei tage später
den vater suchen die behörden noch
es war einmal
eine kleine familie

Dienstag, 12. Februar 2019

Holly und die Second


Pastor Sundermeier meint es ja gut, doch er kann mir nicht helfen. Was versteht der schon? Überlege dir gut, was du tust, Holly, hat er gesagt.
Da ist nichts mehr zu überlegen, Herr Pastor. Ich habe mir das gut überlegt und alles bestens vorbereitet. Es gibt keinen anderen Weg. Ich habe getan, was ich konnte. Immer treu zu ihm gehalten, ihm aus der Patsche geholfen, als er den Job verloren hatte, mich um den ganzen Scheiß in Haus und Garten gekümmert, geputzt, gewaschen, eingekauft, gekocht, jeden Morgen seine Sachen weggeräumt, Schuhe im Wohnzimmer eingesammelt, in den Schuhschrank gepackt, seine Hemden gebügelt, Socken sortiert wie blöde. Wie er es wollte. So, wie es sich gehört. Selbst diese neuen Boxershorts hab ich fein zusammengelegt. Mehr geht nicht.
Was Manfred dazu sagt?
Nichts. Gar nichts. Wie denn auch? Midlife ist angesagt.
Verstehst du nicht?
Dachte ich mir. Mitternacht ist längst vorbei und der ist immer noch nicht in seinem Bett. Das ist Midlife.
Wo er ist?
Fitnessstudio oder Tennis, was weiß ich denn? Mich geht das doch nichts an, sagt er, und schon gar nicht seine Geschäftsreisen. München, Hamburg, Berlin und Frankfurt. Ein ganz neues Outfit und Duftwasser hat er sich zugelegt, Hemden nicht mehr von P & C, sondern von diesem Laden in der MyZeil. Der stellt sich doch tatsächlich mit den Kids vor den Eingang mit den Sixpack Beachboys, um sich das Zeug zu beschaffen. Was sagst du dazu, Pastorchen? Fast fünfzig Jahre alt und wartet geduldig in der Schlange, wo allerhöchstens mal Papas für ihre Kleinen Mitbringsel besorgen, zum Beispiel T-Shirts oder Hemden mit diesem Label. Frei wie ein Vogel. So weit ist es mit ihm gekommen.
MyZeil kennst du nicht?
Woher auch? Macht ja nichts.
Neuerdings zieht es ihn auch in Diskotheken. Wahrscheinlich nicht alleine. Interessiert mich gar nicht, mit wem er sein Spielchen treibt. Mit mir jedenfalls nicht mehr.
Meine Phantasie geht mit mir durch?
Stimmt, geht sie, doch anders, als du es dir vorstellen kannst.
Durststrecke im Leben? Gute und schlechte Tage?
Hör auf mit diesem Durchhaltequatsch, kleiner Pastor. Du machst es dir einfach, stellst dich auf die Kanzel und schaust in fromme Gesichter. Nichts gegen deine Predigten, doch die sind in den Wind gesprochen. Du hörst auch nicht, wie sie übereinander herziehen, hinterher, wenn sie das Gotteshaus verlassen, wo du Nächstenliebe predigst. Wer weiß, was sie über mich reden. Und weißt du, was mir klar geworden ist? Am Sonntag in der Kirchenbank knien und in das ewige Licht glotzen bringt mir nichts.
Glotzen ist zu heftig?
Na gut, nehme ich zurück. Verklärt gucken trifft es auch. Ich jedenfalls nicht mehr. Und was ich dir schon immer sagen wollte: Dein Landfrauenverein ist nicht meine Welt. Radeln für einen guten Zweck hört sich zwar als Aufhänger im Blättchen gut an, doch das geht auch ohne mich. Und Kuchen backen für den Missionsbasar können sowieso andere besser. Ich bin keine Landfrau.
Vermitteln willst du, mit Manfred reden, ihn fragen, warum er in der Gegend herumturnt, anstatt in seinem Hause bei Holly?
Vergiss es. Ich habe gearbeitet, wird er dir antworten. Lügen, alles Lügen. Frag ihn lieber, warum er sich diesen verdammten Stress macht.
Du findest ihn ganz nett und glaubst ihm, dass er viel Arbeit hat?
Eigenartig. Alle, die ihn nicht kennen, finden ihn okay und charmant. Naiv bist du, Sundermeier, kannst dir nicht vorstellen, dass er das Graue vom Himmel runterlügt. Was verstehst du von Midlife?
Jetzt schweigst du.
Es kommt noch schlimmer. Mit mir hat das nichts zu tun, hat der gesagt. Knaller, findest du nicht? Um sein Leben geht es, um nichts anderes. Das fließt ihm unter den Händen weg. Und er hat nur eins. Ja, ja. Leben will er endlich. Mit mir hat das gar nichts zu tun. Was sagst du dazu?
Ich soll nicht zynisch werden? Warum fragst du nicht, warum ich diesen Schwachsinn jahrelang ertragen habe? Ich bin nicht zynisch, nur entschlossen. Weißt du, was das heißt, Pastorchen? Ich hab auch nur ein Leben. Stell dir vor: Mit dem mach ich, was ich will.
Trotzdem noch ein Gespräch versuchen?
Mach dich nicht lächerlich. Was glaubst du denn, wie viele Stunden ich am Fenster auf diesen Nichtsnutz gewartet habe? Und wie viele Seiten meine dicke Chinakladde dabei ertragen musste? Aus und vorbei. Ich weiß, was ich zu tun habe.
Nicht alles wegschmeißen? Ich könnte es bereuen?
Was denn? Wo nichts ist, kann ich nichts wegschmeißen und da gibt’s auch nichts zu bereuen. Und komm mir nicht mit Gottvertrauen. Den geht das schon mal gar nichts an. Der soll sich raushalten aus meinem Leben. Okay?
Der wird die Sache schon in die richtige Bahn lenken, meinst du?
Ha! Ha! Du bist ja hartnäckig. Das sehe ich wie die Courage. ‚Der Mensch denkt: Gott lenkt.’ Doppelpunkt anstatt Komma zwischen ‚denkt’ und ‚Gott’. Selbst die Dinge in die Hand nehmen, denn von ‚Gott lenkt’ kann keine Rede sein, sagt sie, die weise Courage.
Nie gehört? Brecht kennst du nicht? Auch gut.
Bis der Tod …?
Das musste ja jetzt noch kommen, wusste ich es doch. Dein letzter Trumpf. Du ziehst aber auch alle Register. Mir ist schon klar, was du damit meinst. Ich weiß, was ich zu tun habe, bin frei wie ein Vogel.
Du wirst für mich beten?
Wohlmöglich sogar in der Kirche. Ich höre sie schon tuscheln.

Die kleine Holly aus dem Neubargebiet wirst du vermissen?
Ach, du bist ja süß. Ich dich auch. Good bye, Meierchen. Mein Taxi steht vor der Tür. Bei Sonnenaufgang werde ich im Flieger sitzen, sieben Stunden später in der U-Bahn nach Upper Midtown Manhattan und zum Frühstück bei Starbucks auf der Second.