Dienstag, 13. Juli 2021

Wem gehört die Pressefreiheit?

 



Die folgende Geschichte ist ein kleines Zeitfenster mit Blick hinter die Kulissen der ZEIT im Jahre 1953. Der Vorfall ist dokumentiert in Gerd Bucerius: Der angeklagte Verleger, Notizen zur Freiheit der Presse. Ich habe mir die Freiheit genommen ihn literarisch zu bearbeiten.

 

Wem gehört die Pressefreiheit?

 

Die ZEIT nicht interessiert an Anzeigen?

Unglaublich.

Lebensversicherungsplan in der ZEIT sehr schlecht besprochen?

Wer hatte diesen Artikel geschrieben?

Er sprang auf, rannte im Zimmer hin und her, lief zum Schreibtisch zurück, nahm den Telefonhörer und drehte die Wählscheibe.

Bevor sich in der Redaktion jemand melden konnte, knallte er den Hörer auf die Gabel, nahm das Schreiben aus der Postmappe und während er im Zimmer umherging, las er noch einmal den Text:

 

‚Sehr geehrter Herr Doktor Bucerius,

Herr Generaldirektor Werner übergab uns Ihren Brief vom 14. Mai des Jahres, mit dem Sie darum bitten, daß unser Haus seine Finanzanzeigen auch in der ZEIT veröffentlicht.

Nun hat die ZEIT  in ihrer vorletzten Ausgabe unseren neuen Lebensversicherungsplan 34c sehr schlecht besprochen. Ich nehme an, dass  Sie unter diesen Umständen auch an Anzeigen unseres Hauses nicht interessiert sind.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Albert - Generalsekretariat’

 

Gerd Bucerius holte tief Luft. Das ging entschieden zu weit.

Eine Frechheit war das.

Er setzte sich zurück an seinen Schreibtisch und dachte nach.

Nein, mit der Redaktion wollte er jetzt nicht reden. Völlig unwichtig, wer den Artikel geschrieben hatte. Hier musste er als Verleger reagieren. Was hatten Anzeigen mit journalistischen Inhalten zu tun? Diese Unverfrorenheit einer Unternehmung gehörte an die Öffentlichkeit. Einen Artikel für die nächste Ausgabe würde er darüber schreiben. Dann könnte jeder mit eigenen Augen lesen, wie korrupt hier ein Unternehmen versuchte, Einfluss auf die Presse zu nehmen.

Er schraubte den Füllhalter auf und notierte seine Gedanken:

Wie wird ein Presseorgan finanziert?

Was sind die Aufgaben eines Verlegers?

Welche Freiheiten haben Redakteure und wo sind ihre Grenzen?

Können Verleger ihren Redakteuren vorschreiben, was sie schreiben?

Können Anzeigenkunden Verlegern vorschreiben, was ihre Redakteure zu schreiben oder nicht zu schreiben haben?

Wem gehört eigentlich die Pressefreiheit?

Er schraubte den Füllhalter zu und legte ihn zur Seite. Ein Unternehmen öffentlich bloßstellen? Ein Bumerang wäre das. Ein Artikel war doch nicht der richtige Weg. Schlechter Stil und nichts als Ärger wäre die Folge. Im Übrigen wäre es auch nicht klug, zumal in der jetzigen Situation. Die finanziell angeschlagene ZEIT benötigte dringend jede Mark. Denn da blieb immer noch die drückende Frage: Wie kommt die ZEIT aus ihrem finanziellen Loch heraus?

 

Einen Termin machen mit dem Generaldirektor und dem Chef der Werbeabteilung? Ein Gespräch führen? In Ruhe die Gegenseite anhören und sachlich seinen Standpunkt darstellen? Keine Verquickung der Kompetenzen von Verlag und Redaktion.

Doch…eigentlich selbstverständlich in demokratischen Strukturen. Wegen einer Selbstverständlichkeit sollte er zu Kreuze kriechen? Auf gar keinen Fall würde er das tun. Es würde sich bei den Unternehmungen herumsprechen und man würde immer wieder versuchen, ihn und seine Mitarbeiter unter Druck zu setzen. Die ZEIT brauchte zwar Geld und musste Anzeigen verkaufen, aber nicht um jeden Preis.

 

Einige Tage später hatte er die Antwort formuliert und bat seine Sekretärin zum Diktat:

 

Sehr geehrter Herr Albert,

freundlichen Dank für Ihren Brief vom 20. Mai. In Ihrem Hause ist es nicht ganz klar, dass Redaktion und Anzeigenabteilung einer Zeitung scharf getrennt sind. Damit sich solche Mißverständnisse nicht wieder ereignen, habe ich die Anzeigenabteilung der ZEIT angewiesen, Anzeigen Ihres Hauses nicht mehr entgegenzunehmen.“

 

(Kursiv gedruckte Textstellen sind zitiert aus: Gerd Bucerius: Der angeklagte Verleger, München 1974, S. 14-15)

 

 

©Renate Hupfeld 11/2006

 


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