Mittwoch, 29. Juli 2015

Nachtcafé


„Ist doch kein Zufall, dass Vincent in die Mitte des Bildes ein Liebespaar gemalt hat.“
„Ein Liebespaar?“
„Sieh mal, Jana, all die anderen Figuren sind schwarz oder grau, aber die beiden in der Mitte sind orange.“
„Stimmt, vielleicht hätte er gerne mit seiner Geliebten da gesessen.“
„Vielleicht. Stattdessen hat er auf dem ‚Place du Forum’  seine Staffelei aufgestellt und malt ein Bild, das im Jahre 1888 keiner sehen wollte.“
„Du hast mir mal erzählt, dass sein Bruder Theo ihm immer die Farben nach Arles schicken musste, weil keiner seine Bilder kaufte.“
„Und nach seinem Tod haben viele Leute sehr viel Geld mit seinen Bildern verdient. Schade, dass er seinen Erfolg nicht erleben konnte. Aber auf der anderen Seite hatte er ganz viel Freude beim Malen. Du siehst ja, wie toll die Farben sind.“
„Ja, obwohl Nacht ist. Wie die Nacht leuchten kann. Blau und gelb. Meinst du, er hatte Kerzen auf dem Hut, wie du mir aus dem Buch vorgelesen hast?“
„Über Vincent ist viel Blödsinn geschrieben worden. Auch die Story mit den Kerzen auf dem Hut soll eine Legende sein.“
„Er brauchte gar keine Kerzen. Die Lampe auf der Caféterrasse ist so hell, dass der ganze Platz beleuchtet ist. Und die Sterne. Guck mal, wie hell sie leuchten.“
„Vincent hätte sich nicht vorstellen können, dass das Bild mal hier in der Raststätte an der Wand hängt, wo Tag und Nacht so viele Menschen es sehen. Und wer weiß, wo es noch überall zu sehen ist. Das Original kann man in einem Museum  in Holland betrachten.“
„Da möchte ich gern mal hin.“
„Ja, aber jetzt sind wir in der Schweiz, das ist weit weg. Wie damals Vincent fahren wir in den Süden, wo es warm ist und wo die Farben schön leuchten.“
Jana holt ihren Fotoapparat aus dem Rucksack und fotografiert das Plakat vom Nachtcafé.
„Wir könnten doch auch nach Arles fahren und gucken, ob die Sterne da so leuchten, wie auf dem Bild. Da sind bestimmt auch viele Bilder von Vincent zu sehen.“
„Nein, in Arles gibt es keine Bilder von Vincent. Die Leute dort hielten ihn für verrückt und wollten ihn nicht mehr haben.“
„Dann will ich doch nicht nach Arles.“
Im Auto nimmt Jana ihren Zeichenblock und malt ihr Bild vom Nachtcafé.
„Papa, an dem Tisch in der Mitte sitzt du mit Mama. Und hier vorne stehe ich und male euch.“
„Und das helle Gesicht da oben am Himmel?“
„Das ist Vincent. Er lacht die Leute von Arles aus.“

©Renate Hupfeld 09/2003



Dienstag, 28. Juli 2015

König Laurin und sein Rosengarten




König Laurin und sein Rosengarten

Vor sehr langer Zeit lebten noch Riesen und Zwerge auf den Bergen und in den Tälern der Alpen. Im Inneren des riesigen Bergmassivs der Dolomiten, das wir heute Rosengarten nennen, herrschte der Zwergenkönig Laurin über sein unterirdisches Reich. König Laurin war sehr reich. Seine prächtige Rüstung aus hellem Golde glänzte in der Sonne, wenn er auf einem schneeweißen Rösslein durch sein Land ritt.
Zu diesem Reichtum hatte König Laurin noch geheimnisvolle Kräfte: Er hatte eine Tarnkappe, die ihn unsichtbar machte, wenn er sie trug. Außerdem besaß er einen mit Edelsteinen geschmückten Gürtel, der ihm die Stärke von sage und schreibe zwölf Männern gab.
Laurins ganzer Stolz war ein wunderschöner Garten vor den Toren seiner Felsenburg. In diesem Garten blühten das ganze Jahr hindurch prachtvolle Rosen in den schönsten Farben. Das leuchtete vom zartesten Rosa bis zum königlichen Samtrot. Die Rosen verströmten einen betörenden Duft, der jedermann glücklich machte, der sich in der Nähe aufhielt. Damit der herrliche Rosengarten gut geschützt war, hatte hatte Laurin um ihn herum einen Zaun aus goldenen Fäden anlegen lassen. Nur durch ein enges Pförtchen konnte man ihn betreten. Der kleine König wachte höchstpersönlich über diese Pracht. Und wehe dem, der mutwillig darin hereinbrach oder auch nur eine Rose pflückte. Dann konnte der kleine König äußerst grausam sein. Er ließ dem Übeltäter gnadenlos die linke Hand und den rechten Fuß abhacken.
An einem schönen Sommertag machte König Laurin unsichtbar durch seine Tarnkappe mit seinem Wagen eine Fahrt durch die Lande. Dabei erreichte er die Gefilde einer fremden Burg. Der Burgherr hatte eine wunderschöne Tochter namens Simhilde. Als König Laurin das schöne Mädchen auf einer Blumenwiese entdeckte, verliebte er sich bis über beide Ohren. Unbemerkt näherte er sich der schönen Simhilde und nahm sie in seinen Wagen und entführte sie in sein Zwergenreich.
Auf der Burg herrschte Bestürzung und Trauer, als Simhilde verschwunden war. Ihr Bruder Dietrich von Bern machte sich auf die Suche und fand sie nach langer Zeit im Reich des Zwergenkönigs Laurin. Es kam zu einem heftigen Kampf, bei dem König Laurin im Vorteil war mit seiner Tarnkappe und dem Gürtel, mit dem er so stark war wie zwölf Männer. Jedoch konnte Dietrich ihn überlisten und ihm Tarnkappe und Gürtel entreißen.
Simhilde wurde befreit und zu ihrem Vater zurück gebracht. Laurin aber wurde nach Bern ins Gefängnis gebracht. Es gelang ihm jedoch sich zu befreien und zu seinem Schloss mit Rosengarten zurückzukehren.
Dort fand er alle seine Untertanen erschlagen vor. Das machte ihn so traurig, dass er an nichts mehr Freude hatte, selbst nicht an seinem Rosengarten. Da sprach er einen Fluch aus, der besagte, der Rosengarten solle zu Stein werden. Die Rosen sollten für niemanden mehr sichtbar sein, weder bei Tag noch bei Nacht.
König Laurin hatte aber die Dämmerung vergessen. Deswegen können wir auch heute noch immer den wunderbaren Rosengarten sehen, immer wenn an schönen Tagen die Sonne untergeht und die Dämmerung beginnt, leuchtet er weit ins Land hinein und alle Menschen können ihn sehen.



Der Drache vom Kreuzkofel



Der Drache vom Kreuzkofel

Es war einmal ein Drache, der lebte in einer felsigen Höhle im Kreuzkofel. Den Bewohnern des Gadertales machte er schwer zu schaffen, denn sein Maul war so groß und seine Zähne so spitz, dass er Menschen und Vieh auf den Almen spielend auffressen konnte. Jeder, der in seine Nähe kam, verschwand auf Nimmerwiedersehen. Kein Wunder, dass die Leute Angst hatten vor diesem Ungeheuer. Die Hirten trauten sich bald nicht mehr, ihre Tiere auf die Almen zu führen.  Als sich die Menschen gar nicht mehr ins Gebirge trauten, kam das Monster zu ihnen hinunter in die Dörfer, durchpflügte Ställe und Stuben und trieb sein Unwesen. Dem edlen Franz auf seinem Schloss in Enneberg kam das Elend der Menschen im Gadertal zu Ohren. Er hatte die beste Armbrust weit und breit, konnte zielen wie kein anderer und vor allem hatte er Mut. Eines Tages machte er sich auf zum Kreuzkofel und fand die Höhle des Untiers. Mit geöffnetem Maul kam es aus seinem Schlupfloch, doch Franz war schneller. Er zielte den Pfeil mitten ins Herz des Monsters. Laut brüllend fiel es in den Abgrund und die Leute im Gadertal waren befreit.