Seit der Kölner Silvesternacht denke ich an grinsende Monster mit Krakenarmen. Eine ganze Horde dieser Fieslinge kreist eine Frau ein, grapscht ihr an Busen und Po, zerrt an ihrer Kleidung, reißt Jacke und Bluse auf, versucht ihr die Hose runterzuziehen, schafft es sogar, klaut ihre Tasche mit Handy ... bis endlich ein Mann kommt und sie rauszieht aus dieser Hölle. Dieser Horror ist in jener Silvesternacht nicht nur Frauen in Köln passiert, sondern auch in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Bielefeld, Essen, Dortmund, Hamm und in vielen anderen Städten. Als ich höre, dass die überwiegende Anzahl der Täter aus Kulturkreisen
kommt, in denen Frauen als Dreck betrachtet und wie Dreck behandelt werden, muss ich unwillkürlich an einen meiner Schüler denken.
Es ist etliche Jahre her, seit ich jeden Tag zum Gelände des
alten Rittergutes fuhr, wo ich in der dort angesiedelten
Jugendpsychiatrie als Lehrerin arbeitete. Und es ist noch länger her, als der
fünfzehnjährige Reza in meiner Schülergruppe saß. Ein Richter hatte ihn nach
dem Prinzip „Therapie statt Strafe“ in die Psychiatrie eingewiesen. Und
so landete er bei mir. Reza verweigerte jegliche Mitarbeit und machte, was er
wollte. Gespräche mit seinem Therapeuten liefen ungefähr so:
Ich: Wir müssen über Reza reden.
Er: Ja, klar, wir müssen über jeden hier reden
Ich: Klar, aber jetzt geht es um Reza. Ich weiß nicht, wie ich ihn beschulen soll.
Er: Ach.
Ich: Er hört nicht auf mich, das heißt, er macht meinen
Unterricht kaputt.
Er. Versteh ich nicht. Was macht er denn?
Ich: Nichts macht er. Jedenfalls nichts, was mit Deutsch,
Mathe und Englisch zu tun hat.
Er: Dann rede doch mal Tacheles mit ihm.
Ich: Ja, klar. Was glaubst du, was er dann sagt?
Er: Na, was denn?
Ich: Du hast mir gar nix zu sagen.
Er: Dummer Spruch.
Ich: Jedenfalls kann ich so nicht mit Reza zusammenarbeiten.
Er: Ach, ach.
Ich: Es ist dein Part, Jochen. Schließlich hat er Auflagen.
Er: Ach, ach, ach.
Ich: Knast statt Therapie.
Er: Aber...
Ich: Nix aber. Der tanzt uns doch allen auf der Nase herum.
Er: Ach, ach.
Ich: Es ist dein Part, Jochen. Schließlich hat er Auflagen.
Er: Ach, ach, ach.
Ich: Knast statt Therapie.
Er: Aber...
Ich: Nix aber. Der tanzt uns doch allen auf der Nase herum.
Er: Nun habt euch mal nicht so. Das ist eben diese orientalische Mentalität.
Kurz danach war Reza nicht mehr in meiner Lerngruppe, ich weiß nicht, welche Kollegin oder welcher Kollege sich dann mit ihm herumärgern musste, es war
ja ein Kommen und Gehen in der Psychiatrie.
Ja, und seit der Kölner Silvesternacht spukt er wieder bei
mir im Kopf herum und der dämliche Spruch seines Therapeuten: „Das ist eben diese orientalische Mentalität.“
© Renate Hupfeld 01/2016
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