Montag, 30. Juli 2018

Weil ich Türke bin

Wir arbeiteten im Team zu dritt. Warum drei Lehrer für eine Lerngruppe? Die Arbeit mit den Jungen aus dem Kinderheim erforderte, dass man sie auf mehrere Schultern verteilte. Da war jeden Tag was los. Sie beklauten Lehrer und Erzieher, verließen unerlaubt den Unterricht, randalierten auf dem Gelände oder in den Vorgärten und Garagen der Umgebung, warfen Fensterscheiben ein und stachen Lehrern die Autoreifen platt. Wenn sie im Klassenraum randalierten, ließen wir sie vom starken Peter abholen, einem Erzieher, vor dem alle Jungen kuschten.
In diesen #metwo Tagen erinnere ich mich besonders an Erdal, einen kleinen Jungen von vielleicht zehn Jahren. Der beschäftigte uns täglich in den Besprechungen mit Kollegen und Erziehern. Erdal war ein intelligentes quirliges Kerlchen, doch leider völlig durchgeknallt, das heißt keiner vernünftigen Argumentation zugänglich. An schulische Arbeit war überhaupt nicht zu denken. Wir waren schon froh, wenn wir den Vormittag mit ihm einigermaßen schadlos über die Runden bekamen, am besten mit Ballspielen draußen auf dem Sportplatz. Am letzten Tag des Schuljahres erwartete Erdal jedoch ein Versetzungszeugnis, schmiss seinen Tisch um und randalierte, bis Peter kam, den kleinen Zappelmann unter den Arm klemmte und hinaustrug.
"Ich werde nicht versetzt, weil ich Türke bin", schrie er noch.
Ja, ja.

2 Kommentare:

  1. Das funktioniert mit anderen benachteiligten Gruppen übrigends auch. So beklagt sich eine Freundin immer über Benachteiligungen bei der wissenschaftlichen Arbeit. Ihre Papers würden nicht veröffentlicht, weil unter Physikern die Physikfrauen nichts zählten.

    Ich konnte ihr gar nicht erklären, dass ich, wenn ich gedacht hätte, als Arbeiterkind bei Abitur und Studium benachteiligt gewesen zu sein, ich das nie richtig probiert hätte.

    Da ich das nicht wusste, habe ich das einfach gemacht.

    Die Freundin ist keine Quotenprofessorin geworden, sondern hat sch ihren Platz redlich verdient. Mit einer Frauenquote täte man vermuten, dass sie eine Quotenfrau wäre.

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