Heute wollen wir vom Grödnerjoch aus entlang des Sellamassivs oberhalb der Baumgrenze zum Wasserfall und durch das Mittagstal zurück wandern. Dazu nehmen wir nicht die Gondel, sondern laufen hoch zur Passhöhe. Der Weg führt zunächst gemächlich, später etwas steiler durch Wiese und Wald und gibt beim Blick zurück das ganze Panorama mit Passstraße und dem idyllisch eingebetteten Colfosco und dessen Hausberg Sassongher. Bevor wir uns auf der Terrasse des Restaurants „Frara“ auf der Passhöhe einen Cappuccino gönnen, haben wir den unvergleichlichen Langkofel fotografiert und uns bereits umgesehen, wo wir in unsere Route einsteigen können.
Der Pfad wird
schroffer und dann kommt die Stelle, an der wir den Wanderweg 666 verlassen und
auf der 29 weiter wandern in Richtung Wasserfall. Der Blick zurück zeigt uns
Passstraße, Almen und Cirspitzen unter felsigem Abgrund und der Blick nach
vorne lässt Sassongher, Colfosco mit unserem Mesoles und Corvara näher rücken.
Dann hören wir ihn schon, den Wasserfall, und sehen ihn auch bald. Oben rechts
über ihm klebt eine ganze Kette von winzig kleinen Kletterern, die sich in
Serpentinen den Felsen hinaufkämpfen zum See und zur Pisciaduhütte. Wir
überqueren den vom Wasserfall gespeisten Bach, füllen unsere Trinkflaschen,
suchen uns einen schönen Sitzfelsen und machen erst einmal Picknick.
Danach wird der
Weg noch einmal richtig schön, rechts und links Bäume und ein Flickenteppich in
Grün, Grau und Rot bis zum Schild, auf dem wir lesen, dass wir nach Colfosco
noch eine Stunde und zehn Minuten zu wandern haben. So lange? Das kommt uns
lang vor, zumal unser „Mesoles“ links unten zum Greifen nah scheint und vor uns
bereits die gewaltige Felswand des Mittagstales aufragt. Wir steigen ein in den
unteren Teil dieses berühmten Tales. Und der Abstieg hat es in sich. Wir
befinden uns plötzlich in einem Labyrinth aus Felsen, in dem wir an manchen
Stellen vergeblich nach Orientierung suchen. Entweder ist die Lücke zwischen den
Brocken zu eng oder gar keine zu finden und in jedem Falle zu hoch und zu
steil. Mit Suchen und Probieren kommen wir langsam tiefer. Es geht
einigermaßen, bis mir ein Missgeschick passiert, das mir einen Moment lang den
Schock in die Adern treibt. Die Sohle eines meiner Schuhe hat sich gelöst,
hängt nur noch vorne am Zeh und klafft gefährlich auseinander. Ich schau zu Georg hinüber. Ihm steht der Schreck im Gesicht geschrieben. Ohne Sohle läuft
in diesem schroffen Gelände gar nichts. Holt mich hier raus! Mit zitternden
Händen binde ich mit dem Schnürband das Teil am Schuh fest und hoffe, dass es
hält und nicht an den scharfen Steinen durchscheuert. Weiter absteigen,
es gibt ja keinen anderen Weg. Es scheint gut zu gehen. Ganz langsam kommen wir
hinunter, bis zum nächsten Missgeschick. Der zweite Schuh macht dieselben
Sohlensperenzchen. Ich könnte schreien, doch Humor ist, wenn man
trotzdem lacht. Auch dieser Bösewicht wird in gleicher Weise mit dem Schnürband
behandelt, das heißt, meine Schritte werden noch vorsichtiger. Konzentration
pur ist angesagt. Und durchhalten, denn wir haben unser Ziel noch lange nicht
erreicht, auch wenn wir es schon prima sehen können. Es geht noch ein gutes
Stückchen steil abwärts. Wir kämpfen uns langsam hinunter und erreichen nach
einer gefühlten Ewigkeit den sicheren Spazierweg, der uns nach einer
erstmaltiefdurchatmen Bankpause zum unteren Teil des Wasserfalls führt, dem
touristischen Bereich. Der ist schön präpariert, sodass ich es sogar wage, auf
notdürftig festgebundenen Sohlen die paar Höhenmeter hochzusteigen. Schließlich
gelangen wir quer über die Wiese und durch ein Wäldchen zur Herberge, auf deren
Terrasse wir unseren Herrn Lanzinger mit der Geschichte erheitern und uns ein
kühles Skiwasser genehmigen. Ja, das Mittagstal ist nicht einfach und sie
müssten da mit den Wanderwegen viel mehr machen, meint er.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen