Seitdem Jan nicht mehr hier wohnte, war es für Vanessa und Marika
langweilig geworden. Er hatte immer die besten Ideen. Mit ihm zusammen konnten
sie einen Parcours bauen und um die Wette Fahrrad fahren oder im Feld forschen,
Gebüsch und Hecken durchstöbern und vom Sitz im Paradiesbaum die ganze Gegend
überblicken. Am meisten Spaß machte das Spurensuchen in der Straße. Sie waren
drei Detektive und schlichen zwischen Vorgärten und Autos herum, schauten in
Einfahrten, beobachteten Bewegungen an Gardinen und malten sich aus, was hinter
spiegelnden Glasscheiben verborgen sein könnte. Jan hatte immer Block und
Bleistift dabei, Auffälligkeiten notierte er sofort. Autos mit fremden
Kennzeichen zum Beispiel waren verdächtig, da gab es immer einiges zu
schreiben, Marke, Typ, Farbe, Nummer. Und wenn ein Fahrzeug nicht auf dem
grauen Parkstreifen abgestellt war, schrieb er einen Strafzettel, den er unter
den Scheibenwischer klemmte. ‚Falsch parken – 100 Euro Strafe – die Polizei’,
stand darauf.
Nun waren die zwei Schwestern ohne ihren Freund auf Spurensuche. Sie schlenderten die Straße entlang, schauten nach rechts und links, doch ohne ihn machte das Detektivspielen gar keinen richtigen Spaß. Vanessa hatte zwar ihr kleines grünes Notizbuch dabei, doch ihnen fiel überhaupt nichts auf.
Vor einer Einfahrt blieben sie stehen. Das Auto von Jans Vater stand da. Er wohnte jetzt allein in dem großen Haus. War das verdächtig? Sie schauten hoch zu Jans Fenster. Wo die Polizeistation aus Legosteinen gestanden hatte, tummelte sich ein Schwarm von Goldfischen zwischen grün leuchtenden Wasserpflanzen.
„Schön bunt, aber längst nicht so schön wie vorher“, meinte Vanessa.
„Wie das jetzt wohl da drinnen aussieht. Jans Papa ist zu Hause. Vielleicht lässt er uns ja rein.“
„Wir können es versuchen.“
„Au ja!“
Marika rannte zur Haustür und drückte auf den Klingelknopf, die große Schwester ging hinterher. Sie stellten sich auf Zehenspitzen, um zwischen Fensterrahmen und Türkranz einen Blick in das Haus zu erhaschen. Alles sah noch genauso aus wie vorher, links die Treppe, rechts der Garderobenschrank, geradeaus die Tür zum Wohnzimmer.
Er kam heraus und öffnete.
„Na ihr zwei Hübschen? Was gibt’s denn?“
„Dürfen wir mal in Jans Zimmer?“, fragte die Kleine.
„Euer Freund wohnt nicht mehr hier. Wisst ihr das denn gar nicht?“
„Doch, er ist mit seiner Mama ausgezogen. Aber wir wollen so gerne die Fische sehen.“
„Ach so! Ja, das könnt ihr. Ihr habt Glück, es ist gerade Fütterungszeit.“
Sie gingen hinter dem Mann die Treppe hoch in Jans Zimmer. Ganz anders sah das jetzt aus. Kahle weiße Wände. In seiner Bettecke stand ein Sofa und gegenüber am Fenster das Aquarium.
„Mir gefallen die mit den roten Flecken am besten“, meinte Marika. „Sind das auch Goldfische?“
„Eine besondere Züchtung“, erklärte Jans Vater.
„So schöne hab ich noch nie gesehen.“
„Dann schaut euch erst mal diese Exoten hier an.“ Er zeigte auf ein größeres Aquarium daneben. „Das sind die richtigen Schönheiten. Normalerweise leben sie im Amazonas, Südamerika, wisst ihr doch.“
Zögernd stellten sich die beiden Mädchen vor die Scheibe des anderen Beckens. Zwei große Fische schwammen darin, dunkel gesprenkelt, fast schwarz, mit roter Bauchseite. Gefährlich sahen sie aus, so lauernd die Augen und besonders ihre Mäuler mit den vorstehenden Unterkiefern.
„Warum sind es nur zwei?“, fragte Marika.
„Es waren einmal sehr viele, die hier sind übrig geblieben“, antwortete der Mann. „Schaut mal, wie sie schwimmen, besonders der große, so frei, so elegant. Wunderbar, findet ihr nicht?“
„Aber warum sind es nur noch zwei?“
„Ach so, ja. Das kennt ihr doch. Die Großen fressen die Kleinen. So ist das in der Natur.“
„Und warum ist der eine kleiner?“
„Fast schon ein Wunder, dass der noch da ist, muss wohl ein Überlebenskünstler sein.“
„Wie sie ihre Mäuler öffnen, als wollten sie jeden Moment etwas verschlingen“, sagte Vanessa. „Und Zähne haben sie auch, ein richtiges Haifischgebiss.“
„Warten sie jetzt auf ihr Futter?“, wollte Marika wissen.
„Ja, ja.“
„Was fressen sie denn?“
„Sagte ich doch, Lebendfutter.“
„Lebendiges Futter?“
„Sozusagen.“ Er nahm einen Käscher zur Hand.
„Nein, bitte nicht!“, flehte die Ältere, als er das Netz in das Goldfischbecken tauchte.
„Halt, das dürfen Sie nicht!“, schrie die Kleine.
Doch Marikas Protest rührte den Mann ebenso wenig wie das Bitten der Schwester. Er jagte hinter einem der Rotgefleckten her und fing ihn ein. Dann hob er das Netz heraus, hielt es hoch und schaute zu, wie der Fisch sich wand.
„Tun sie ihn schnell wieder rein, bitte.“ Vanessa griff nach dem Stiel und versuchte, ihm den Käscher aus der Hand zu nehmen. Er lachte und hob ihn in eine unerreichbare Höhe.
Als der Fisch nur noch leicht zuckte, ließ er ihn in das Monsterbecken gleiten.
„Es kann ein paar Sekunden dauern, bis sie ihre Beute entdecken, sie sehen nämlich nicht so gut“, erklärte er.
„Hoffentlich entdecken sie ihn nicht.“
„Keine Chance. Die roten Flecken haben eine gewisse Signalwirkung, ähnlich wie Blutstropfen. Raubfische werden von der Beute angelockt, wenn ihr versteht.“
Das wollten sie gar nicht verstehen. Sie wollten nur dem armen Gefangenen helfen. Könnten sie ihn doch von dem gefährlichen Feind wegtreiben!
„Was glaubt ihr denn, wie es im Amazonas zur Sache geht?“
Er legte den Käscher zur Seite, setzte sich auf das Sofa und beobachtete, was passierte. Der größere der beiden Räuber näherte sich langsam dem Gefleckten, mit gierig aufgesperrtem Rachen.
„Seht ihr die Zackenreihe? Wie spitz sie sind, die Beißerchen, und so scharf. Schaut genau hin. Seht ihr, was er macht?“
„Los! Schwimm weg!“, kreischte Marika, als der Große den Kleinen fast berührte.
„Schneller!“, rief Vanessa.
Hatte er das gehört? Er bewegte sich und ergriff plötzlich die Flucht. Das schwarze Monster jagte hinterher. Eine wilde Verfolgung war im Gange, durch das Pflanzengewirr und zwischen Steinen, immer rundherum.
„Du schaffst es“, freute sich die Kleine und zappelte vor Aufregung mit Armen und Beinen.
Doch da hatte es ihn erwischt. Ein weißes Skelett mit ein paar Fetzen daran trudelte zwischen wehendem Wasserfarn auf den schwarzen Sandboden.
Unwillkürlich waren die beiden Mädchen zurückgewichen, starr vor Schreck, konnten es nicht fassen. Wie hatten sie gehofft, der Arme würde es schaffen. Doch zu schnell war der Verfolger, zu scharf die Zähne, zu groß das Maul.
Der kleinere Schwarze kam aus der Ecke und machte sich über die Reste der Beute her, während der andere, nun etwas behäbiger, doch immer noch gierig, seine Runden drehte.
„Ein wunderbares Exemplar“, schwärmte der Mann. „Wie elegant er schwebt. Ich kann mich nicht satt sehen. Herrlich, nicht wahr?“
„Mir ist schlecht, ich brauche Luft. Komm.“ Vanessa nahm ihre kleine Schwester an die Hand.
„So elegant“, flüsterte der Mann.
Er bemerkte gar nicht, wie die beiden Mädchen hinausgingen auf die Straße.
„Schnell weg hier!“
Sie rannten, bis sie ihre Haustür erreichten.
„Hast du die Augen von dem Mann gesehen?“, fragte Marika. „Wie der geguckt hat! Der sah ganz anders aus, gar nicht mehr wie Jans Papa.“
Vanessa hatte ihr grünes Buch aufgeschlagen, den Bleistift in der Hand und begann zu schreiben.
„Tiere quälen, hunderttausend Euro Strafe und Aquarienverbot, die Polizei“, las sie ihrer Schwester vor.
„Hundert Millionen“, protestierte die Kleine, „Und Gefängnis und nix zu essen, für immer und ewig.“
Nun waren die zwei Schwestern ohne ihren Freund auf Spurensuche. Sie schlenderten die Straße entlang, schauten nach rechts und links, doch ohne ihn machte das Detektivspielen gar keinen richtigen Spaß. Vanessa hatte zwar ihr kleines grünes Notizbuch dabei, doch ihnen fiel überhaupt nichts auf.
Vor einer Einfahrt blieben sie stehen. Das Auto von Jans Vater stand da. Er wohnte jetzt allein in dem großen Haus. War das verdächtig? Sie schauten hoch zu Jans Fenster. Wo die Polizeistation aus Legosteinen gestanden hatte, tummelte sich ein Schwarm von Goldfischen zwischen grün leuchtenden Wasserpflanzen.
„Schön bunt, aber längst nicht so schön wie vorher“, meinte Vanessa.
„Wie das jetzt wohl da drinnen aussieht. Jans Papa ist zu Hause. Vielleicht lässt er uns ja rein.“
„Wir können es versuchen.“
„Au ja!“
Marika rannte zur Haustür und drückte auf den Klingelknopf, die große Schwester ging hinterher. Sie stellten sich auf Zehenspitzen, um zwischen Fensterrahmen und Türkranz einen Blick in das Haus zu erhaschen. Alles sah noch genauso aus wie vorher, links die Treppe, rechts der Garderobenschrank, geradeaus die Tür zum Wohnzimmer.
Er kam heraus und öffnete.
„Na ihr zwei Hübschen? Was gibt’s denn?“
„Dürfen wir mal in Jans Zimmer?“, fragte die Kleine.
„Euer Freund wohnt nicht mehr hier. Wisst ihr das denn gar nicht?“
„Doch, er ist mit seiner Mama ausgezogen. Aber wir wollen so gerne die Fische sehen.“
„Ach so! Ja, das könnt ihr. Ihr habt Glück, es ist gerade Fütterungszeit.“
Sie gingen hinter dem Mann die Treppe hoch in Jans Zimmer. Ganz anders sah das jetzt aus. Kahle weiße Wände. In seiner Bettecke stand ein Sofa und gegenüber am Fenster das Aquarium.
„Mir gefallen die mit den roten Flecken am besten“, meinte Marika. „Sind das auch Goldfische?“
„Eine besondere Züchtung“, erklärte Jans Vater.
„So schöne hab ich noch nie gesehen.“
„Dann schaut euch erst mal diese Exoten hier an.“ Er zeigte auf ein größeres Aquarium daneben. „Das sind die richtigen Schönheiten. Normalerweise leben sie im Amazonas, Südamerika, wisst ihr doch.“
Zögernd stellten sich die beiden Mädchen vor die Scheibe des anderen Beckens. Zwei große Fische schwammen darin, dunkel gesprenkelt, fast schwarz, mit roter Bauchseite. Gefährlich sahen sie aus, so lauernd die Augen und besonders ihre Mäuler mit den vorstehenden Unterkiefern.
„Warum sind es nur zwei?“, fragte Marika.
„Es waren einmal sehr viele, die hier sind übrig geblieben“, antwortete der Mann. „Schaut mal, wie sie schwimmen, besonders der große, so frei, so elegant. Wunderbar, findet ihr nicht?“
„Aber warum sind es nur noch zwei?“
„Ach so, ja. Das kennt ihr doch. Die Großen fressen die Kleinen. So ist das in der Natur.“
„Und warum ist der eine kleiner?“
„Fast schon ein Wunder, dass der noch da ist, muss wohl ein Überlebenskünstler sein.“
„Wie sie ihre Mäuler öffnen, als wollten sie jeden Moment etwas verschlingen“, sagte Vanessa. „Und Zähne haben sie auch, ein richtiges Haifischgebiss.“
„Warten sie jetzt auf ihr Futter?“, wollte Marika wissen.
„Ja, ja.“
„Was fressen sie denn?“
„Sagte ich doch, Lebendfutter.“
„Lebendiges Futter?“
„Sozusagen.“ Er nahm einen Käscher zur Hand.
„Nein, bitte nicht!“, flehte die Ältere, als er das Netz in das Goldfischbecken tauchte.
„Halt, das dürfen Sie nicht!“, schrie die Kleine.
Doch Marikas Protest rührte den Mann ebenso wenig wie das Bitten der Schwester. Er jagte hinter einem der Rotgefleckten her und fing ihn ein. Dann hob er das Netz heraus, hielt es hoch und schaute zu, wie der Fisch sich wand.
„Tun sie ihn schnell wieder rein, bitte.“ Vanessa griff nach dem Stiel und versuchte, ihm den Käscher aus der Hand zu nehmen. Er lachte und hob ihn in eine unerreichbare Höhe.
Als der Fisch nur noch leicht zuckte, ließ er ihn in das Monsterbecken gleiten.
„Es kann ein paar Sekunden dauern, bis sie ihre Beute entdecken, sie sehen nämlich nicht so gut“, erklärte er.
„Hoffentlich entdecken sie ihn nicht.“
„Keine Chance. Die roten Flecken haben eine gewisse Signalwirkung, ähnlich wie Blutstropfen. Raubfische werden von der Beute angelockt, wenn ihr versteht.“
Das wollten sie gar nicht verstehen. Sie wollten nur dem armen Gefangenen helfen. Könnten sie ihn doch von dem gefährlichen Feind wegtreiben!
„Was glaubt ihr denn, wie es im Amazonas zur Sache geht?“
Er legte den Käscher zur Seite, setzte sich auf das Sofa und beobachtete, was passierte. Der größere der beiden Räuber näherte sich langsam dem Gefleckten, mit gierig aufgesperrtem Rachen.
„Seht ihr die Zackenreihe? Wie spitz sie sind, die Beißerchen, und so scharf. Schaut genau hin. Seht ihr, was er macht?“
„Los! Schwimm weg!“, kreischte Marika, als der Große den Kleinen fast berührte.
„Schneller!“, rief Vanessa.
Hatte er das gehört? Er bewegte sich und ergriff plötzlich die Flucht. Das schwarze Monster jagte hinterher. Eine wilde Verfolgung war im Gange, durch das Pflanzengewirr und zwischen Steinen, immer rundherum.
„Du schaffst es“, freute sich die Kleine und zappelte vor Aufregung mit Armen und Beinen.
Doch da hatte es ihn erwischt. Ein weißes Skelett mit ein paar Fetzen daran trudelte zwischen wehendem Wasserfarn auf den schwarzen Sandboden.
Unwillkürlich waren die beiden Mädchen zurückgewichen, starr vor Schreck, konnten es nicht fassen. Wie hatten sie gehofft, der Arme würde es schaffen. Doch zu schnell war der Verfolger, zu scharf die Zähne, zu groß das Maul.
Der kleinere Schwarze kam aus der Ecke und machte sich über die Reste der Beute her, während der andere, nun etwas behäbiger, doch immer noch gierig, seine Runden drehte.
„Ein wunderbares Exemplar“, schwärmte der Mann. „Wie elegant er schwebt. Ich kann mich nicht satt sehen. Herrlich, nicht wahr?“
„Mir ist schlecht, ich brauche Luft. Komm.“ Vanessa nahm ihre kleine Schwester an die Hand.
„So elegant“, flüsterte der Mann.
Er bemerkte gar nicht, wie die beiden Mädchen hinausgingen auf die Straße.
„Schnell weg hier!“
Sie rannten, bis sie ihre Haustür erreichten.
„Hast du die Augen von dem Mann gesehen?“, fragte Marika. „Wie der geguckt hat! Der sah ganz anders aus, gar nicht mehr wie Jans Papa.“
Vanessa hatte ihr grünes Buch aufgeschlagen, den Bleistift in der Hand und begann zu schreiben.
„Tiere quälen, hunderttausend Euro Strafe und Aquarienverbot, die Polizei“, las sie ihrer Schwester vor.
„Hundert Millionen“, protestierte die Kleine, „Und Gefängnis und nix zu essen, für immer und ewig.“
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