Montag, 15. Oktober 2018

Besuch in Gotha



Nach dem Weihnachtsfest entschied Malwida, die weite Reise nach Thüringen zu machen und ihn dort zu  besuchen. So kam sie an einem kalten Dezemberabend in Gotha an, stieg in einem Gasthof ab und machte sich noch in der Dunkelheit auf den Weg hinaus aus der Stadt durch eine lange Allee zwischen schneebedeckten Feldern. In einem einsam gelegenen Haus waren noch zwei Fenster erleuchtet. Das musste das Krankenhaus sein.
Eine alte Frau führte sie zu Theodor. Malwida war zutiefst erschüttert, als sie ihn sah, so mager und blass, das Lächeln der bleichen Lippen war zum Weinen traurig. Den unbeschreiblichen Schmerz ertrug sie nur bei dem Gedanken, ihm bei all dem Elend ein bisschen Freude zu bringen. Nicht einmal dreißig Jahre alt und so nah am Tod. Auch er ein Opfer im Kampf um die Freiheit, dachte sie, und kam nun jeden Tag. Dann saßen beide am Tisch einander gegenüber und redeten über seine Kindheit, seine Mutter und über ihre gemeinsamen Ideale in den schönen Zeiten ihrer jungen Liebe. Malwida blieb so lange, bis er zu schwach wurde und ausruhen wollte.
Als sie den Silvesterabend zusammen verbrachten, ahnten beide, dass es für Theodor der letzte Jahresbeginn sein würde. Wieder musste Malwida ihn allein und hilflos zurück lassen. Doch vorher besorgte sie ihm noch einen bequemen Lehnstuhl, weil sie beobachtet hatte, dass ihm das Sitzen auf dem Sofa in seinem Zimmer schwer fiel.
Dann musste sie zurück  an ihre Arbeit, die auch nicht einfacher wurde. Es stellte sich heraus, dass die Ausweisung von Theodor Althaus bereits der Anfang der Repressalien gegen die Hamburger Einrichtung gewesen war. Inzwischen war der reaktionäre Gegenwind allzu deutlich spürbar. Die Unterstützung der Sponsoren wurde weniger. Schließlich war die Einrichtung nicht mehr zu finanzieren. Johanna und Karl Fröbel gaben die Leitung ab. Emilie Wüstenfeld und Malwida blieben weiter auf ihren Posten und taten, was sie konnten.


Aus: Malwida und der Demokrat

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