„Kommst du noch mit auf ein Bier in den Landsknecht, den ganzen
Mist vergessen?“, fragte Rüdiger, als sie das große Backsteingebäude verließen.
„Weiß nicht, vielleicht später, ich will erst mal nach Hause.“
Martin hatte Mühe das Auto heil aus der engen Parklücke zu fahren,
seine Hände zitterten. Wie hatte er sich gestern noch auf einen friedlichen
Sommerabend im Garten gefreut. Und jetzt? Nach dem Desaster in der Firma war
nichts mehr wie zuvor. Was erwartete ihn zu Hause, wenn er mit dieser
Hiobsbotschaft ankam?
Eine schattige Baumallee führte hinaus aus der Stadt, auf die
Landstraße, wo die tiefstehende Sonne ihm in die Augen stach und die Felder wie
eine fremde Landschaft an ihm vorbeizogen. Er rauchte auch wieder, schon die
dritte Zigarette, dabei wollte er sich das Rauchen doch abgewöhnen.
Nach der letzten Kurve die Häuserzeile, dann einbiegen in die
ruhige Wohnstraße, wo Helen und Aaron auf ihn warteten. I’m a loser,
summte es in seinem Kopf.
Bei dem Wetter waren sie draußen, seine Frau und sein Sohn, ein
Bild, wie es schöner niemand malen könnte. Wie zwei Rosen an ihrem Sonnenplatz
waren sie aufgeblüht in diesem Haus neben dem Bauernhof. Alles kaputt, auf
einen Schlag.
Helen erwartete ihn mit ihrem Lächeln. Sie trug den knappen
Bikini, den er ihr am Samstag vorher in der City gekauft hatte, die Figur wie
ihr Lächeln, unvergleichlich. Und diese Sehnsucht in ihrem Blick. Sie konnte
noch träumen. Merkte sie denn nichts? Fiel ihr gar nicht auf, dass sein
Begrüßungskuss heute schal war? Er setzte sich zu ihr auf die Terrasse.
„Willst du dich nicht erst einmal umziehen?“, fragte sie. „Muss
doch unbequem sein, die Krawatte bei den Temperaturen.“
„Später“, antwortete Martin und schaute ihr nach, wie sie durch
das Wohnzimmer in die Küche ging. Unwiderstehlich, viel zu gut für einen wie
ihn.
Aaron kam angerannt, drückte ihm einen nassen Schmatz auf den Mund
und lief zurück auf die Wiese, zum Spielen mit dem Jungen aus dem Nachbarhaus.
Bunte Papierschiffchen schaukelten auf der sonnenglitzernden Wasserfläche in
dem kleinen Planschbecken. Sicherlich hatte Helen sie mit den Kindern
gebastelt.
Nach dem Abendessen war es endlich heraus.
„Gekündigt?“
Das Lächeln verschwand aus Helens Gesicht.
„Das geht doch gar nicht.“
„Doch“, entgegnete Martin.
„Und was ist mit Rüdiger?“
„Die ganze Abteilung muss gehen. Ein amerikanischer Konzern hat
die Firma gekauft, nur die Produktion wird übernommen.“
„Einfach ausgetauscht, wie kaputte Maschinen?“, rief Helen empört.
„Und jetzt?“
„Ein neuer Job muss her. Rüdiger und ich haben schon Verbindung zu
einem Unternehmen in Süddeutschland, der Marketingdirektor hat uns letztens
angesprochen, ob wir nicht …“
„So weit weg? Das kann nicht dein Ernst sein, wo wir uns gerade
wieder zusammengerauft haben. Und Aaron, wie zufrieden er jetzt ist. Wir geben
doch unser neues Leben hier nicht so einfach auf.“
Hatte er es sich doch gedacht, es würde schwierig mit ihr.
„Aber ohne Job läuft gar nichts, Helen.“
„Wir haben einen Job. Im nächsten Monat stellen sie mich an der
Schule fest an.“
„Stimmt schon.“
„Sieh das doch mal positiv, Martin.“
Was hatte sie nur für Gedanken? Unglaublich. Doch das war Helen.
Es gab keine Scheiße, an der sie nicht auch noch was Positives sah, eine
unverbesserliche Optimistin.
„Willst du etwa so weiter machen?“, fuhr sie fort. „Dich behandeln
lassen wie eine Schachfigur, die man gnadenlos rausschmeißt? Etwas Besseres
findest du allemal. Jetzt nimm dir erst mal Zeit, in Ruhe über deine berufliche
Zukunft nachzudenken.“
„Nein, nein“, wehrte er ab.
War nicht schon so alles schwierig genug? Aber sie gab keine Ruhe.
„Du warst ganz anders, als du noch nicht in dieser Tretmühle
warst. Die Staffelei könntest du wieder aufstellen und die Spiegelreflexkamera
…“
Warum musste sie gleich so übertreiben? Glaubte sie denn, er würde
hier zu Hause den Kreativheini spielen? Dabei wohlmöglich das nächste Kind im
Tragetuch durch den Garten schleppen?
„Helen, du bist eine Träumerin.“
Sie schwieg.
„So einfach ist das nicht“, versuchte er zu beschwichtigen.
„Das hier ist mir wichtiger, als dein verdammter Job, Martin. Der
bringt uns doch nur Ärger. Du weißt, was ich meine, aber du willst das nicht
verstehen. Ich will das hier nicht aufgeben.“
Ja, er wusste, was sie meinte, wollte sie ja auch verstehen. Am
liebsten hätte er seinen Kopf in ihren Schoß gelegt und geheult, aber das ging
nicht. Helen wollte ihm ja helfen, aber doch nicht so. Woher nahm sie die
Power? Sie brauchte ihn gar nicht, war viel zu stark.
Aaron hatte ein Kinderbuch geholt und auf den Tisch vor Helen
gelegt: ‚Das Nashorn und das Eichhörnchen’. Sie nahm das Buch und stand auf.
„Ich bringe jetzt Aaron ins Bett. Danach reden wir weiter. Wir
finden eine Lösung, da bin ich mir sicher“, sagte sie und ging sie mit dem
Kleinen in das Haus.
Eine richtige Bilderbuchfamilie waren sie, aber das half ihm nicht
weiter. Ja, sie hatte einen Job. Und er? Es gab für ihn nur einen Weg, auch
wenn der nach Süddeutschland führte. Aber er kam sich mal wieder vor wie einer,
der zu schwere Gewichte stemmte. Hörte dieser Druck denn nie auf?
„Ich fahre noch mal weg“, rief er ihr nach.
Dann ging er zu seinem Auto. Er zitterte nicht mehr so stark, als
er den Schlüssel in das Zündschloss steckte. Durch die Felder fuhr er zurück in
die Stadt, zum Landsknecht, wo Rüdiger sicherlich schon beim Bier auf ihn
wartete. I’m a loser, summte es in seinem Kopf.
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