Es war schon dunkel geworden, als
Malwida den „Place des Palmiers“ überquerte, wo in dem Haus auf der
gegenüberliegenden Seite der Kammerdiener von Monsieur Hugo ihr die Tür
öffnete. Im Salon hatte sich wieder ein kleiner feiner Kreis zusammen gefunden.
Nachdem sie mit Paulines Klavierbegleitung gesungen hatte vom Land, wo die
Zitronen blühen, begab man sich auf die Terrasse und ließ sich in bequemen
Korbsesseln nieder. Herrlich duftende bengalische Rosen rankten in langen
Kränzen an zwei Säulen, sanft beleuchtet von vereinzelten Öllampen, ebenso wie die
Myrthen und Orangenbäume.
An keinem Abend zuvor hatte sie die dunklen Schatten
wahrgenommen, die das flackernde Licht auf die Gesichter warf. Nicht nur die
Stunden mit diesen lieben Menschen würden ihr fehlen, auch Hugos tägliche Blumengrüße und die darin versteckten
kleinen Botschaften seiner Zuneigung. Er saß zu ihrer Linken und wies den
Kammerdiener an, Tee und Gebäck zu servieren. Sie spürte seine Wärme und dachte an das Angebot. Ein verführerischer
Gedanke, in diesem Hause zu wohnen, in gediegenem Ambiente, mit reichlich
ausgestatteter Bibliothek und einem Garten zum Träumen. Sollte diese wunderbare
Zeit hier denn wirklich zu Ende gehen? Die anregenden Gespräche? Die Zuneigung
der Menschen? Sie war aufgeblüht wie eine Blume, hatte Caroline gesagt. Das
empfand sie selbst so. Nie war sie so umschwärmt, nie war das Leben so farbig
gewesen.
Hatte sie sich jemals so leicht gefühlt?
So frei?
Doch wirklich frei?
War da nicht ein zartes Pflänzchen?
In ihrem Herzen hatte es den langen Winter überstanden und begann sich zu
regen, als wollte es den neuen Frühling begrüßen. Je näher der Tag der Abreise
rückte, desto intensiver machte es sich bemerkbar. Die Erinnerung an den Herbsttag
des vergangenen Jahres, den Tag der Abreise. Wie überrascht war sie gewesen,
als Theodor Althaus in aller Herrgottsfrühe am Postwagen gestanden hatte. Sie
sah ihn vor sich, ihren Apostel mit den warmen Augen und den dunklen Locken, in
der Hand einen Blumenstrauß, den er ihr zum Abschied überreichte. Dazu ein
Brief, den sie bei der ersten Postkutschenrast geöffnet hatte.
Der Hausherr unterbrach Malwidas Gedanken. Auf seinen Stock
gestützt, stand er auf und redete: „Meine lieben Gäste. Wie freue ich mich,
dass ihr heute wieder meiner Einladung gefolgt seid und mit mir zusammen den
Abend verbringt. Wieder einmal habt ihr mir und uns wunderbare Stunden
bereitet. Ich danke euch für eure Treue, für eure herrlichen Vorträge, mit
denen ihr den Abend so farbig macht. Und, ach ja.“ Er schaute zu Malwida und
seufzte. „Abschied tut weh. Muss es denn wirklich sein, meine Freundin?“
Er setzte sich und nahm ihre Hand in die seine.
Sie entzog sie ihm ganz sachte.
„Entschuldige…Entschuldigt mich bitte.“ Es fiel ihr schwer,
die Tränen zurück zu halten. Sie stand auf und ging hinaus.
Draußen auf dem Place des Palmiers ließ sie ihren Tränen
freien Lauf. Sie lief zum Haus Arnaud und hinauf in ihr Zimmer. Vom Fenster aus
schaute sie zu Hugos Haus hinüber und verfolgte durch den Tränenschleier, wie
golden schimmerndes Licht seinem Haus entströmte.
Dann griff sie unter ihr Kopfkissen und hielt die süßeste
Botschaft in der Hand: ‚I suoi pensieri in lui dormir non ponno.’
„Unsere Gedanken lassen uns keinen Schlaf finden“, flüsterte
sie und drückte den Brief an ihre Brust. „Ich liebe dich, Theodor. Wäre ich
doch leicht wie ein Vogel. Ich könnte sofort zu dir fliegen.“
Aus: Malwida und der Demokrat
Aus: Malwida und der Demokrat
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